Liebst du deinen Beruf?
Zumindest ist das unser Anspruch an Arbeit. Wen wundert’s? Immerhin wird uns diese Geschichte tagtäglich eingebläut – in Blogs, im Fernsehen, in Magazinen, Musik, Filmen.
Arbeit soll zwei Funktionen erfüllen: Wir wollen Geld damit verdienen und gleichzeitig Erfüllung finden, unser Leben soll durch sie einen Sinn bekommen. Und vor allem die Selbstständigkeit soll uns all das auf einmal geben. Aber tut sie das wirklich?
Unsere Welt ist leistungsorientierter denn je. Und auch die Zufriedenheit im Job ist so etwas wie eine kulturelle Erwartung und ein Lebensziel geworden. Das kann schnell zur Belastung werden.
“Meine Arbeit ist ganz gut, aber will ich wirklich mein Leben so verbringen?”
Es ist verlockend, die Frage einfach beiseite zu schieben und dem immer gleichen Trott zu folgen. Zeit gegen materielle Werte eintauschen, Dinge wie Geld oder Status.
Das Märchen von der Liebe zur Arbeit
Arbeit wird umweht von einem Mythos, den wir auch von romantischen Beziehungen, Liebeskomödien und Zeichentrickfilmen kennen. Unsere einzig wahre Berufung im Leben zu finden, immer verliebt zu bleiben, sich jeden Tag mit der gleichen Begeisterung zu engagieren, bis wir irgendwann zufrieden in den Ruhestand gehen? Ein schöner Wunschtraum, aber bleiben wir mal realistisch.
In Wirklichkeit ist unsere Beziehung zur Arbeit viel komplizierter, voller Höhen und Tiefen, Herzschmerz und geprägt von glücklichen Zufällen – genau wie unsere romantischen Beziehungen im Leben.
Aber um zu verstehen, warum diese Lücke klafft zwischen unserer Wunschvorstellung von Arbeit und wie sie dann in der Realität aussieht, müssen wir einen Schritt zurücktreten und den Blick auf die Geschichte der Arbeit werfen.
Der Aufstieg der Produktivität
Bis zum 18. Jahrhundert wurde Arbeit in einem viel kleineren, lokalen Maßstab erledigt. Nehmen wir an, jemand arbeitete in einem Bekleidungsgeschäft. Diese Person teilte sich den Laden mit, sagen wir, zwei anderen Leuten. Wenn ein*e Kund*in hereinkam, war man verantwortlich für die Begrüßung, nahm Maß, schneidete den Stoff zu, nähte, nahm Änderungen vor, zählte das Geld und erledigte den Papierkram.
Im Jahr 1776 schrieb dann ein schottischer Ökonom namens Adam Smith ein sehr bekanntes Buch mit dem Titel “Der Wohlstand der Nationen”. Mit diesem Buch machte Smith eine alte Idee namens "Arbeitsteilung" berühmt, eine Theorie, die zusammen mit dem technologischen Fortschritt die industrielle Revolution vorantreiben sollte. Die Idee: Arbeit wird in viele kleine, spezifische Aufgaben aufgeteilt, so dass sich Menschen in einem kleinen Bereich hochgradig spezialisieren können. Diese Spezialisierung führt zu mehr Produktivität und mehr Profitabilität.
Statt drei Personen, die in einem Bekleidungsgeschäft eine Menge unterschiedlicher Aufgaben erledigen, können jetzt dreißig oder vierzig Personen an hochspezifischen Aufgaben arbeiten. So steigt die Anzahl der produzierten und verkauften Kleidungsstücke.
Was macht Arbeit sinnvoll?
Und das wirkt sich darauf aus, wie wir über den Sinn von Arbeit denken. Damit Arbeit sinnvoll ist, müssen Menschen Stolz für die Ziele ihres Unternehmens empfinden und gleichzeitig das Gefühl haben, dass ihre Arbeit dem Unternehmen hilft, diese Ziele zu erreichen.
Als menschliche Wesen finden wir Sinn vor allem darin, dass wir anderen helfen. Das klingt vielleicht überraschend, aber tief in unserem Inneren wissen wir, dass es so ist. Egal ob LKW-Fahrer*in, Künstler*in, Yogalehrer*in oder Friseur*in – jede*r will, dass die eigene Arbeit einen positiven Einfluss auf die Gesellschaft hat. Und wenn nicht, wenn die Arbeit “neutral” ist, dann wollen wir wenigstens ein intensives, erfülltes Leben außerhalb der Arbeit führen.
Natürlich wollen wir auch gut sein in dem, was wir tun und einen Beruf finden, der zu unserer Persönlichkeit passt. Aber vor allem wollen wir, dass das, was wir tun, bei jemandem ankommt und gewürdigt wird.
Wenn wir den ganzen Tag an etwas arbeiten, woran wir nicht glauben, können wir innerlich ausbrennen und unsere Arbeit als seelenlos empfinden.
Dazu kommt der Druck der Gesellschaft, die der Arbeit eine immense Bedeutung zuschreibt. Wir bewerten ständig, ob wir unsere Zeit kostbar einsetzen oder nicht.
Ist “immer höher, immer weiter” immer gut?
Um bei dem Beispiel unseres Bekleidungsgeschäftes zu bleiben. Vielleicht denkst du dir “Ja, aber ist es nicht gut, mehr Kleidung herzustellen und zu verkaufen?” Die Antwort ist: Vielleicht – je nachdem, worauf du Wert legst.
Das Bildungsinstitut “The School of Life” schreibt: Die Tragödie vieler Unternehmen besteht darin, dass ihr wahres Ziel nicht darin besteht, zu helfen oder wirklich nützlich zu sein, sondern in erster Linie ihre Aktionäre zu belohnen. Ein Ziel, für das die Mitarbeiter*innen immer wieder ihr Leben eintauschen müssen.”
Das Problem, wenn Produktivität und Rentabilität zum zentralen Existenzgrund für ein Unternehmen werden: Der “Sinn” der Arbeit geht nach und nach verloren. Für Mitarbeiter*innen in Henry Fords Autofabriken wurde Kreativität als Problem angesehen – wie ein Fehler, der im Namen der Effizienz ausgemerzt werden sollte.
Mit immer mehr spezialisierten Berufsbildern, die auf eine gesteigerte Produktivität abzielen, verlieren Mitarbeiter*innen mehr und mehr den Fokus aufs große Ganze:
Wer nutzt eigentlich das Endprodukt, und welchen Wert hat es in der Welt?
👱 Adam Smiths Vorahnung
Renditen steigen, Sinn schwindet
Stell dir einen multinationalen Konzern mit einer halben Million Mitarbeiter*innen vor. Was glaubst du, wie sehr sich jede*r Einzelne der Mission des Unternehmens und der Zufriedenheit der Kund*innen verpflichtet fühlt? Durchschnittliche Angestellte könnten denken:
“Wenn ich nicht hier wäre, könnte das auch gut jemand anderes machen.”
Schon ein bisschen traurig, oder?
Und jetzt stell dir ein kleines Unternehmen mit fünf oder sechs Mitarbeiter*innen vor. Jede*r einzelne ist viel näher dran am Unternehmen und den Kund*innen. Die Rollen sind nicht in Stein gemeißelt. Wenn jemand unter der Dusche eine Idee hat, kann die Person einfach mit der Chefin sprechen. Es ist viel einfacher, in so einem Unternehmen Verbundenheit und Sinn zu finden.
Und jetzt die Frage: Wenn das Gefühl für Sinn und Zweck von Arbeit immer mehr abnimmt, was bedeutet das für Selbstständige?
😌 Neue Erfahrungen tun der Seele gut
Selbstständigkeit – Sinn auf die Spitze getrieben
Wenn du dein eigenes Unternehmen führst, bist du ganz allein für den Erfolg dieses Unternehmens verantwortlich. Du hast die volle Kontrolle darüber, wie du arbeitest, wie sehr du dich spezialisiert und mit welchen Kund*innen du zusammenarbeitest.
Du allein hast es in der Hand, deine Kund*innen glücklich zu machen.
Niemand steht dir im Weg, es gibt keine Zwischenebene zwischen dir und den Menschen, die von deiner Arbeit profitieren. Du kannst also dieses Erlebnis, dass deine Arbeit einen Sinn hat, aus erster Hand erfahren.
Selbstständigkeit hat das Potenzial dazu, Sinn auf die Spitze zu treiben.
Für sich selbst zu arbeiten bringt auch Vielfalt mit sich. Mit deinem eigenen Unternehmen bist du für verschiedene Aufgaben verantwortlich – Geschäftsentwicklung, Marketing, Buchhaltung, ganz zu schweigen von deinem eigenen Produkt. Die Aufgaben gehen dir nie aus und du lernst ständig dazu.
🚀 Der Guide zum Start in die Selbstständigkeit
Fazit – gibt es die Liebe zum Beruf?
Langsam aber sicher findet ein Wandel in unserer Gesellschaft statt – und Selbstständige treiben ihn mit voran. Menschen entscheiden sich dafür, sich ihre Zeit zurückzuholen. Natürlich ist Selbstständigkeit keine “romantische Version” von Arbeit – das gibt es vermutlich auch nicht, es ist immer kompliziert.
Aber auf der Suche nach Liebe zum Beruf kann es helfen, Zeit wieder über Geld zu stellen. Und Sinn über Rendite. Ob das schon der erste Schritt in die Selbstständigkeit ist oder du deine Erfüllung anders findest? Das kannst dir nur du selbst beantworten.